Kunst, Ordnung, Reinheit

Ordnung ist das halbe Leben… und Sauberkeit die andere Hälfte?

Liebe Frau Blog,

vor dem Gang ins Bett schicke ich Ihnen noch zwei ordentliche Artikel, um diesen Sonntagabend sauber zu beenden:

Die Kachel als Symbol der deutschen Nachkriegsjahre in der Süddeutschen Zeitung

und

das Deutschlandfunk-Feature zur deutschen Tradition der Reinheitsgebote.

Ich möchte Ihnen gerne dazu noch etwas von Max Frisch zitieren. Das Zitat stammt aus dem zwölften Bild des Dramas Andorra:

„Barblin: Ich weißle, ich weißle, auf daß wir ein weißes Andorra haben, ihr Mörder, ein schneeweißes Andorra, ich weißle euch alle – alle.
[…]
Barblin: Wo, Pater Benedikt, bist du gewesen, als sie unsern Bruder geholt haben wie Schlachtvieh, wie Schlachtvieh, wo? Schwarz bist du geworden, Pater Benedikt…“

„Barblin weißelt das Pflaster“ des großen Platzes, wo die „Judenschau“ stattfand. Sie streicht das Pflaster weiß, um Andorra, um ihre Heimat, das Land und ihre Bewohner in einem verzweifelt wahnsinnigen Akt wieder unschuldig zu machen, um die Schuld und das Blut der Opfer wegzuwischen bzw. zu überdecken. Zugleich klagt sie den Pater als einen an, der „schwarz“, also schmutzig und schuldig geworden ist. Frisch benutzt das Bild des Reinigens, obwohl die „Säuberung“ von den jüdischen Mitbürgern das Drama erst möglich machte. Barblin, als „Judenhure“ gebrandmarkt, handelt verzweifelt in kulturell überlieferten Mustern. Ihr Bruder Andri ist deportiert, ihr Vater, der Lehrer, hat sich erhängt. Sie hat für Andri gekämpft und bleibt hilflos zurück. Einzig die Handlung des „Weißelns“, in der Frisch das erste Bild des Dramas (Barblin streicht ihres Vaters Haus) wieder aufnimmt, bleibt ihr als Halt.

Im selben Jahr 1961, in dem Andorra am 2. November im Schauspielhaus Zürich uraufgeführt wurde, „weißelte“ Günther Uecker am 5. Juli das Pflaster vor der Düsseldorfer Galerie Schmela. In der Galerie wurde die dritte und letzte Nummer der Zeitschrift ZERO von Heinz Mack und Otto Piene präsentiert. Uecker malte einen weißen Kreis auf die Straße der Altstadt, und die Besucher der Vernissage sowie die Passanten liefen im Anschluss an die Aktion unweigerlich durch die noch nasse Farbe. Das Weiß wurde an den Schuhen der Menschen in die Stadt getragen. Das Weiß wurde durch die dreckigen Sohlen der Schuhe beschmutzt. Dieses prägnante Bild verweist zugleich auf den Wunsch und die Unmöglichkeit der Reinheit, der Reinigung und der Entschuldung. Es war die gleiche Zeit und der gleiche Ort, an dem Düsseldorfer Bürger dem Künstler Günther Uecker und dem Galeristen Alfred Schmela ihre Missachtung zeigten: „Wenn ich bei Alfred Schmela saß, standen vor dem Schaufenster der Galerie Passanten oder auch Polizisten der Altstadtwache, darunter frühere SS-Leute, die äußerten, man hätte uns wohl zu vergasen vergessen.“ (Uecker, 2009)

Wenn Sie mehr zu Ueckers Aktion und zur Zeitschrift ZERO erfahren wollen, schauen Sie doch mal hier rein:

Ich wünschen Ihnen, liebe Frau Blog, wie immer allzeit frischen Code!

Ihr Dirk Pörschmann

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