Allgemein, Tod

Gedanken zum Anfang

Liebe Frau Blog,

im aktuellen Heft von „Friedhof und Denkmal: Zeitschrift für Sepulkralkultur“ habe ich meinen Gedanken zu meinem ersten Jahr im Museum für Sepulkralkultur freien Lauf gelassen.

Lesen Sie selbst!

Ihr Dirk Pörschmann

„Aller Anfang ist schwer!“
Johann Wolfgang Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre, 1821


„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“
Hermann Hesse, Stufen, 1941

Zwei bekannte Aussagen zu einem Vorgang, den wir alle aus Erfahrung kennen, markieren den Anfang dieses Texts. Eine neue Phase im privaten oder beruflichen Leben beginnt. Ein Anfang wird ausgerufen, herbeigeführt oder Ereignisse, auf die wir keinen Einfluss haben, erzeugen ihn. Wir suchen Anfänge oder werden in sie geworfen: der erste Schultag, die frische Liebe, der neue Job, ein Umzug, der Frühling, Geburt und Sterben der anderen, der neue Morgen, die ernste Diagnose, der letzte Weg… Anfänge begleiten unser Dasein bis zu seinem Ende. Freudige, traurige oder gar schreckliche Lebensereignisse definieren Abschnitte, die oft erst rückblickend begriffen werden. Anfänge sind Momente, die auf Entscheidungen oder auf Widerfahrnissen basieren. Sie markieren Veränderung, und sie vergehen schnell. Als ich vor elf Monaten das Amt des Geschäftsführers der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal übernommen habe, war für mich ein Anfang gesetzt, der beruflichen Wandel bedeutete und durch die Themen Sterben und Tod persönliche Veränderungsprozesse provoziert hat. Ich durfte den Zauber des Anfangs erleben und konnte eine Schwere der neuen Verantwortung erfahren. Es war ein schöner Anfang, und allen Freund*innen unserer Institution, die mir diesen ermöglichten, sei herzlich gedankt. Die nächsten Stufen sind gefolgt und werden folgen. Ich möchte sie weiterhin gemeinsam mit allen gehen, denen die gesellschaftliche Bedeutung der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. und des Zentralinstituts und Museums für Sepulkralkultur am Herzen liegt.

Das vergangene Jahr 2018 brachte Ausstellungen und Veranstaltungen, die sinnlich erlebbar machten, dass die inhaltliche und ästhetische Auseinandersetzung mit unserer Endlichkeit ein zentrales Moment unseres Menschseins ist, denn darin erfahren wir unsere Existenz als lebendig. Dies durfte ich zum Beispiel bei einer Veranstaltung mit ehrenamtlichen Sterbegleiter*innen, bei unserem jährlichen Symposium für Nachwuchswissenschaftler*innen – der transmortale – oder der Lesung einer Überlebenden des Holocaust erleben. Margot Friedländer (geb. 1921), die im April aus ihren Lebenserinnerungen vortrug, bewegte die Gemüter von nahezu 400 Besucher*innen – darunter sehr viele Jugendliche. Der Abend wird allen unvergessen bleiben, und dies lag an der klaren Botschaft dieser mutigen und weisen Ehrenbürgerin der Stadt Berlin. Ihr Auftritt in unserem Museum war der bisherige Höhepunkt meiner neuen Tätigkeit. Er wird mir Triebfeder bleiben, um das Museum für Sepulkralkultur in den kommenden Jahren zu einem Ort zu machen, der nicht nur museale Standards bestens erfüllt, sondern in dem sich unterschiedlichste Menschen begegnen können, um zu erfahren, dass sich Kulturen samt ihrer Rituale zwar unterscheiden, aber diese auf gemeinsamen, universellen Bedürfnissen beruhen. Solch eine Erkenntnis trägt ein vereinendes Moment in sich, das Menschen über alle Ethnien und Religionen hinweg verbinden kann. Wie Margot Friedländer betonte: „Es gibt kein jüdisches, christliches oder muslimisches Blut. Es gibt nur menschliches.“

In allem steht der Mensch im Zentrum unserer Arbeit. Dies wurde besonders auf den beiden, mehrtägigen Klausurtagungen des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal deutlich. Unsere Friedhöfe sind Orte, die unser Menschsein feiern und unsere Kultur offenbaren. Sie gehören den Verstorbenen und ihren trauernden Angehörigen, und sie haben aufgrund ihrer Vielfältigkeit auch Qualitäten, die Erholungssuchende oder seltene Tier- und Pflanzenarten schätzen. Friedhöfe stellen gesellschaftliche Werte dar, die wir pflegen sollten, denn das Menschsein fand seinen kulturellen Anfang auch in den Fragen: Wohin gehen die Toten? Wie können wir sie ehren? Die Vielfältigkeit der Sepulkralkultur ist beeindruckend. Ihre unterschiedlichst geprägten Ausformungen haben sich sich von Beginn an gewandelt, und für unseren Verein ist es ein Privileg, diesen Wandel seit dem Jahr 1951 begleiten, dokumentieren, erforschen, aber auch gestalten zu können.

Als die Vision von Hans-Kurt Boehlke manifest und das Museum für Sepulkralkultur im Januar 1992 eröffnet wurde, begann eine Erfolgsgeschichte, die weiterhin nach ihrer Fortschreibung ruft. Die Sepulkralkultur hat in den letzten drei Jahrzehnten eine Phase beschleunigter Veränderungen erlebt, die eine thematische Aktualisierung und Erweiterung der Dauerausstellung des Museums unausweichlich machen. Jetzt müssen die inhaltlichen und baulichen Grundlagen aktualisiert werden, um den gegenwärtigen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Status quo abbilden zu können und die verschiedenen Abteilungen des Museums zukunftsfähig zu machen. Hierbei kommen – neben der täglichen Arbeit mit den Besucher*innen – den Kooperationen mit Bildungseinrichtungen, Verbänden, Vereinen, Religionsgemeinschaften, Stiftungen und sozialen Initiativen eine große Bedeutung zu. Diese Zusammenarbeit gilt es zu intensivieren, um die Rolle des Museums für Sepulkralkultur als Forschungs- und Vermittlungszentrum sowie als Plattform für alle gesellschaftlichen Gruppen zu stärken, für die eine umfassende Auseinandersetzung mit den Themen Sterben, Tod, Bestattung, Trauer und Gedenken zentral ist. Durch die großzügige Unterstützung der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland) sowie des VDD (Verband der Diözesen Deutschlands) konnte sich unsere Institution fachliche Kompetenzen beschaffen, um eine umfassende Neukonzeption zu erarbeiten. Diese zeichnet sich durch eine inhaltliche Aktualisierung und Neustrukturierung der Dauerausstellung, durch Maßnahmen der baulichen Sanierung sowie durch die Erweiterung der Möglichkeiten an Kooperationen im Bereich von Veranstaltungen aus. Der nächste Schritt konnte nun gegangen werden, indem der Vorstand den Plänen zugestimmt hat, um die Verhandlungen mit unseren Zuwendungsgebern über die Finanzierung des Vorhabens zu beginnen. Wenn alles planmäßig verlaufen sollte, könnte die Realisierung im Jahr 2023 starten; doch bis dahin werden noch viele Schritte notwendig sein. 

Am Ende möchte ich zum Anfang zurückkehren. Ich habe diesem Text zwei Zitate vorangestellt, die als Sprichwörter Eingang in unseren alltäglichen Sprachgebrauch gefunden haben. Den Ursprung kennt kaum mehr jemand, wie dies im Grunde auch bei den mannigfaltigen Formen des Aberglaubens der Fall ist, die wir noch bis Mitte März 2019 in der sehenswerten Ausstellung „Tutenfru! Über Aberglaube und Tod“ präsentieren. So werden auch Goethes Gedanken zum Anfang immer nur verkürzt wiedergegeben, wie dies bei Sprichwörtern meist der Fall ist. Doch erst in der Gesamtheit wird die Bedeutung klar: „Aller Anfang ist schwer! Das mag in einem gewissen Sinne wahr sein; allgemeiner aber kann man sagen: aller Anfang ist leicht, und die letzten Stufen werden am schwersten und seltensten erstiegen.“ Auf dem Weg zu einer lebendigen Vereinsarbeit und einem erneuerten Museum soll diese Erkenntnis ein Antrieb bleiben, nicht nachzulassen, wenn Unvorhergesehenes oder Probleme den Aufstieg beschweren. Die wichtigen Aufgaben der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal sowie die Bedeutung des Museums für Sepulkralkultur für eine individuelle wie kollektive Auseinandersetzung mit den Themen Sterben, Tod, Bestattung, Trauer und Gedenken wird Motivation sein, auch die bei allen Vorhaben wichtigen letzten und schwierigsten Stufen zu überwinden. Denn jede Idee und jeder Plan braucht in seiner Realisierung auch ein Ende, um neue Anfänge zu ermöglichen.

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