Allgemein, Kunst, Reinheit, Zero

Was ist ein Bild?

Liebe Frau Blog,

es war viel los in den letzten Wochen, so dass dieser Brief lange auf sich warten lassen musste. Ich hoffe, er wird dennoch vergnüglich und erkenntnisreich für Sie sein.

Ich will Ihnen heute etwas zu Otto Piene und einem seiner schönsten Katalogbeiträge schreiben. Im Frühjahr 1959 fand in Antwerpen eine für die Aktivierung der internationalen Zero-Bewegung wesentliche Ausstellung statt. Auf der Einladungskarte, die durch einen nach oben zeigenden Pfeil im Hochformat gestaltet wurde, stand kein Titel, sondern nur der Name des Ausstellungssorts („Hessenhuis-Antwerp“) sowie die zur Drucklegung bekannten Namen der teilnehmenden Künstler: „Breer, Bury, Klein, Mack, Mari, Munari, Piene, Rot, Soto, Spoerri, Tinguely, Van Hoeydonck“. Auf die spannende Geschichte der Zusammensetzung der Ausstellung will ich hier nicht näher eingehen. Vielleicht mache ich das in einem anderen Brief. Vielmehr möchte ich über das Katalogheft schreiben, das in verblüffend einfacher Weise entstand. Die belgischen Organisatoren forderten jeden Teilnehmer auf, ihre Katalogbeiträge selbst zu gestalten. Nur das Format (21 x 21 cm) und die Auflage (1.000 Stück) wurden vorgegeben. Otto Piene betrieb mit den vier Blättern, die er an Pol Bury schickte, den größten Aufwand. Neben seinem auf Französisch und Englisch übersetzten Text „Was ist ein Bild?“ entschied er sich dazu, teure Farbdrucke (B 11,5 x H 15 cm) eines gelben Rasterbilds anfertigen zu lassen, die jeweils auf die Mitte einer weißen Seite geklebt wurden. Am unteren Rand des Blatts steht lediglich der Titel der Arbeit in den drei Sprachen Deutsch, Französisch und Englisch: „reines Licht“, „clarté pure“, „pure light“. Auffällig ist, dass Piene bei der französischen Übersetzung „clarté“ akzeptiert, obwohl im begleitenden Text nur von „lumière“ die Rede ist. „Clarté“ bedeutet mehr  „Helligkeit“ und „Klarheit“ und weniger „Licht“, aber natürlich im Kontext von „Licht“ und „Schein“. „Clarté pure“ ist somit ein Pleonasmus, denn die Klarheit ist schon rein, sonst wäre sie Trübheit. Bei der Titelgebung spielte Piene in der ersten Phase seiner Rasterbilder häufig auch mit  Verdopplungen wie „Weißweiß“ oder „Gelbgelb“, um Sprache (laut)malerisch einzusetzen. Bei „clarté pure“ stellt sich allerdings tatsächlich die Frage, ob es sich um ein bloßes Übersetzungsproblem handelt.

1959 Otto Piene: Was ist ein Bild?

 

Pienes gelbes Bild, dessen heutiger Aufbewahrungsort unbekannt ist, ist für sein frühes Schaffen programmatisch, sonst hätte er die Arbeit nicht ausgewählt und für eine internationale Ausstellung eine Reproduktion in Farbe drucken lassen. Seine ersten Rasterbilder entstanden im Sommer 1957, und erstmals präsentierte Piene sie bei der 4. Abendausstellung im Herbst desselben Jahres in seinem Düsseldorfer Atelier in der Gladbacher Straße. Neben die Abbildung im Antwerpener Katalog stellte Piene seinen Text „Was ist ein Bild?“, in dem er die zentralen Themenfelder der frühen Zero-Zeit in präziser, geradezu poetischer Weise in Sprache übersetzt. Werk und Text werden gleichberechtigt behandelt, und die Zusammenschau bietet mehr als die einzelne Rezeption. Ziemlich gut, weil einfach, klar und dennoch sinnlich in Wort und Bild.

Ihnen Frau Blog, wie immer, allzeit frischen Code!

Ihr Dirk Pörschmann

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